Superintelligenz - Maschinenphantasmen
Michael Seibel • Nick Bostroms Vorstellung von superintelligenten Maschinen (Last Update: 07.10.2015)
Auf
Nick Bostroms Buch Superintelligenz,
Frankfurt 2014, sind wir gestoßen, weil vorgeschlagen wurde,
Gedanken zu verfolgen, die die sich offenbar rasant entwickelnden
technischen Eingriffsmöglichkeiten ins menschliche Leben
betreffen. Die Frage vermochte in diesem Zusammenhang Interesse
auszulösen, was geschieht, wenn es gelingt, Maschinen zu
entwickeln, die die menschliche Intelligenz übertreffen.
Bostrom
macht es dramatisch und sieht, wie sein Buch im deutschen Untertitel
sagt, Szenarien einer kommenden Revolution.
Mich
überzeugt das Buch auf keiner Seite. Ich halte es für eins
der schlechtesten Bücher, die je bei Suhrkamp erschienen sind.
Ich will hier, denen zuliebe, die es vorgeschlagen haben, begründen,
warum.
Bostrom
fragt, ob wir damit zu rechnen haben, dass Maschinen eigene
Intelligenz entwickeln und sich danach ohne den Menschen autonom
weiterentwickeln werden.
Bostrom
arbeitet mit suggestiven Formulierungen wie „alles spricht
dafür, dass...“, „vieles deutet darauf hin,
dass...“, „es ist stark zu vermuten, dass...“. Man
könnte erwarten, dass dann auch einmal ein Argument genannt wird
für das, was eigentlich in Frage steht. Es kommt aber keins.
Nicht ein einziges. Und das Buch ist nicht kurz.
Bostrom
bringt eine Fülle von Hinweisen, dass die Weiterentwicklung der
Digitaltechniken auch in Zukunft zu Maschinen mit immer größerer
Leistungsfähigkeit führt. Aber damit trägt er Eulen
nach Athen. Dafür braucht es keine Argumente, die wir nicht
schon hätten.
Dafür
allerdings, dass sich diese Leistungsfähigkeiten von Maschinen
ab einem uns unbekannten Punkt anfangen, sich selbst autonom
weiterzuentwickeln, dass sie gelinde gesagt, zu leben beginnen, fehlt
jedes Argument. Und erst recht dafür, dass dieses vermeintliche
Computereigenleben dann die Form eines die Menschheit bedrohenden
konkurrenzlerischen Mega-Gangsters haben würde, gegen den wir
mindestens so etwas wie eine neue Heimatschutzbehörde
amerikanischen Zuschnitts brauchen würden.
Um
das zu verdecken, gibt er seinem Buch eine Dramaturgie der
Beschleunigung, der Chance, der Konkurrenz und der Bedrohung.
Das
erste Kapitel hat an sich mit superintelligenten Maschinen nichts zu
tun, sondern macht die ganz große Zeitleiste der Evolution auf,
die Milliarden Jahre von der Entwicklung des Lebens bis zum Homo
Sapiens. Darin schaut er sich das Produktivitätswachstum seit
dem Erscheinen des Menschen an, hiervon noch einmal den Anstieg seit
dem Aufkommen des Ackerbaus vor 5000 Jahren und sodann denn gemessen
an diesen langen Zeiträumen die neuzeitliche Entwicklung seit
1700.
Entsprechend
skaliert stellt die Entwicklung des Weltwirtschaftswachstums,
abhängig gemacht vom plötzlichen Aufkommen neuer Techniken,
eine Art Explosion dar, die vorindustriellen Menschen, wie Bostrom
vermutet und worin ich ihm gerne zustimme, sicher unvorstellbar
gewesen wäre.
Die
Suggestion Bostroms an dieser Stelle ist die, dass die Menschheit,
die einmal die Erfahrung einer solch explosiven Entwicklung gemacht
hat, deren vermeintliche Quelle die Technik-Entwicklung ist, von nun
an mit ähnlich explosiven Veränderungen allein durch
Technik rechnen muss.
Bostrom
bedient sich bestimmter unausgewieser
geradezu axiomatischer Glaubenssätze.
Satz
1: Technik verändert
aus sich heraus die Lebensgrundlagen der Menschheit.
Diese
Behauptung ist viel weniger selbstverständlich, als sie auf den
ersten Blick scheint. Ob eine Technik zum Einsatz kommt und in welche
Richtung sie die Lebensgrundlagen der Menschen verändert, hängt
wesentlich von den gesellschaftlichen Verhältnissen ab,
innerhalb deren sie eingesetzt wird. Es liegt nicht an der
Digitalisierung, an einem Komplex von Techniken, dass
Produktionsstätten von Deutschland in Billiglohnländer
verlagert werden, sondern an der Form unseres globalen
wirtschaftlichen Zusammenlebens, am globalisierten
Wirtschaftsliberalismus. Dennoch ist richtig, dass es Digitalisierung
und Internet möglich machen, die Arbeitsplätze zu verlagern
und dass also Techniken Rückwirkungen auf das Zusammenleben der
Menschen haben, global, aber auch regional.
Die
bestehenden weltweite Kohlenstoffwirtschaft führt nicht als
solche bereits zu gravierenden Klimaproblemen, sondern an ihrem
maßlosen Einsatz, daran, dass im Kapitalismus kurzfristige
Ziele der Marktteilnehmer die gesamte Produktion steuern und nicht
Rücksicht auf langfristige kollektive Lebensgrundlagen. Nicht
die Kohlenstoffwirtschaft ist Ursache des Klimawandels, sondern die
Art ihres Einsatzes.
Atomwaffen
wären in einer Welt, die ihre internationalen Beziehungen nicht
in Formen institutionalisierter Aggressivität aushandelt,
sinnlos. Aber die Aggressivität, die sich als Atomwaffe zum
Faktum verfestigt, kommt nicht erst durch die Atomwaffentechnik in
die Welt und sie ist auch keine anthropologische Konstante.
Atomwaffenentwicklung ist ein weiteres Kapitel einer langen
Kriegsgeschichte.
Wer
die Frage der Veränderung der menschlichen Lebensbedingungen
allein als eine Frage der Technikentwicklung betrachtet, lässt
man im Dunkeln, wodurch Techniken zum Segen oder zur Katastrophe
werden. Bostrom macht genau das. In Kap. 1 betrachtet Bostrom die
Geschichte nicht einmal nur des Menschen, sondern des Lebens
überhaupt allein als Technikgeschichte.
Wenn
man das tut, dann wirken allerdings die letzten paar Jahre, es seien
wenige oder ein paar hundert, wie eine einzige Beschleunigung, eine
Technik-Explosion. Technik entwickelt sich dann und explodiert sogar
ganz von sich aus. Das ist der Prototyp einer Mystifikation.
Die
nächste Spirale der Mystifikation bei Bostrom ist dann die
Unterstellung: Alles das sei eine Sache der Intelligenz. Die
Technikexplosion ist eine „Intelligenzexplosion“.
Damit wird aus der Mystifikation von Technik eine moderne Form des
Animismus. Dem Leser, der zu wenig mit den Details der Techniken
vertraut ist, die in Rede stehen, wird erklärt, der Geist, der
diese Entwicklung betreibt, stecke plötzlich in der Maschine
selbst.
Animismus:
diesmal nicht als beseelter Natur, sondern als beseelte Maschine. Die
Parallele geht jedoch weiter. So, wie der Animismus der schriftlosen
Völker nicht nur eine Form des Glaubens war, sondern zugleich
Regelungen für deren Sozialverhalten bot, hätte die
Bostromschen Maschinenbeseelung, die Superintelligenz der Maschine,
formierende Konsequenzen für unser Sozialverhalten.
Wenn
die Geschichte nichts als Technikgeschichte ist, dann ist Intelligenz
ihre Seele. Sie ist allwissend und allmächtig, zumindest weiß
sie alles, was zum gegebenen Zeitpunkt gewusst wird und kann alles,
was zum gegebenen Zeitpunkt gekonnt wird. Und wenn in Zukunft mehr
gekonnt wird, wird Intelligenz der Schöpfer gewesen sein. Als
das nimmt die Bostromsche Intelligenz den traditionellen Platz Gottes
ein. Zumindest nur mit dem halben Gesäß, denn noch ist sie
nicht Superintelligenz.
Im
Gegensatz zum monotheistischen Gott fällt der Bostromschen
Intelligenz allerdings die Gnade schwer, denn Intelligenz ist der
Gott der Konkurrenz.
Man
hat zunächst durch die Behauptung, hinter Technik stecke
Intelligenz, nichts anderes gemacht, als die traditionelle Denkfigur
aufzurichten: Wo eine Schöpfung, da auch ein Schöpfer. Aber
man verfügt dadurch (Nietzsche hat darauf hingewiesen) noch über
keinerlei zusätzliche Erkenntnis. Sehen wir also zu, wie Bostrom
es unternimmt, aus einer Leerformel eine Erkenntnis zu zimmern.
Bostrom
versucht uns zu verblüffen. Er deutet an, wie maschinelles
Lernen über diverse Algorithmen zur Berechnung von
Wahrscheinlichkeitsverteilungen funktioniert und dass dabei
unerfüllbar hoher Rechenaufwand durch geeignete Heuristiken zu
vermeiden ist. Ziel von künstlicher Intelligenz (KI) sei der
autonome Erwerb spezieller Entscheidungsfähigkeiten. So muss ein
computergesteuertes Fahrzeug bei jedem Wetter den Straßenrand
erkennen können, mit GPS-Daten und Wetterdaten abgleichen und
auf ein Wildschwein reagieren, dass vor Fahrtantritt niemand
einprogrammiert haben kann und vieles mehr. Es muss also ständig
seine Umgebung 'kennenlernen'.
So
komplex ein solcher Lernvorgang auch immer ist, Bostrom unterschlägt,
dass maschinelles Lernen nichts mit menschlichem Lernen, etwa mit dem
Lernen von Kindern in der Schule zu tun hat. Beim Menschen ist Lernen
untrennbar mit komplexen Lernmotivationen, Sozialbezügen und
Interessen verbunden.
Zunächst
gesteht Bostrom diesen Sachverhalt insofern ein, als er bei Computern
von spezieller Intelligenz im Unterschied zur allgemeinen Intelligenz
beim Menschen spricht. („Maschinen sind den Menschen in puncto
allgemeiner Intelligenz noch weit unterlegen“ (S.41).) Das hält
ihn allerdings nicht davon ab, sich die fehlende allgemeine
Intelligenz unausgewiesen aus der immer beeindruckender werdenden
speziellen Intelligenz der Maschinen zusammenzubasteln, so als werde
jemand, der oft genug eins zu eins hinzuzählt, irgendwann
Millionär. Nur ist es beim Menschen nicht so. Wir werden nicht
mit speziellen Fähigkeiten geboren, die erst durch ihre
Weiterentwicklung zu allgemeinen werden, sondern starten bereits mit
allgemeinen, die uns in der Folge erlauben, unsere speziellen
Fähigkeiten weiterzuentwickeln. Selbst wenn man in der Evolution
zurückgeht, wird man, solange es Menschen gegeben hat, keine
Zeit finden, zu der das nicht so war.
Wie
plausibilisiert Bostrom, dass hinter Technik Intelligenz als deren
Schöpfer steckt? Außer durch das Verblüffungsmoment
für Nicht-Eingeweihte dadurch, dass er uns an Vorstellungen
erinnert, die uns im Laufe unseres Lebens fasziniert haben mögen.
Wer hätte je gedacht, dass ein Computerprogramm besser Schach
spielt als Garri Kasparow? Den allermeisten jungen Menschen, die sich
einmal vorgenommen hatten, gute Schachspieler zu werden und die durch
die Torturen der Niederlagen gegangen sind, lieferte das Schachspiel
den Vorstellungsinhalt par excellence für Intelligenz.
Mit
Hinweisen wie dem auf schachspielende Maschinen schlägt Bostrom
den Bogen von Technik zu Intelligenz und weiter zu
Maschinen-Intelligenz. Er nutzt einfach eine verbreitete
Vorstellung.
Seine
Beispiele zum Stand der Technik auf dem Gebiet der künstlichen
Intelligenz sind vor allem Spiele: Dame, Backgammon, Schach,
Kreuzworträtsel, Scabble, Bridge, Poker, Go et al.
Damit
stellt Bostrom gleich noch eine weitere Suggestion in den Raum. Er
suggeriert eine bestimmte Form von Motivation. Spiele will man
üblicherweise gewinnen. Die Suggestion daraus:
Motiviert
sein heißt gewinnen wollen.
Ein
angemessener Motivationsbegriff, der Bostrom im Hinblick auf das
Lernen fehlt, wird hier durch ein abstraktes spieltheoretisches
Surrogat ersetzt. Was im Hinblick auf Menschen eine grobe Verkürzung
ist, dass das Gewinnen-Wollen der Prototyp von Motivation ist, ist im
Hinblick auf Maschinen schlichter Unsinn. Wenn ein KI-Algorithmus auf
das Ziel hin programmiert ist, entlang bestimmter Regeln ein
Gewinnziel zu erreichen, bedeutet das selbstverständlich nicht,
dass die Maschine auf irgendeine Weise motiviert ist, zu
gewinnen oder beleidigt wäre, wenn sie verliert.
Bostroms
nächstes Panik-Argument: Der Beinahe-Börsencrash von 2010.
Der Computerhandel führte am 6.5.2010 um ein Haar zu einem
Börsencrash und zu Trades, die wenig später rückabgewickelt
werden mussten. Bostrom sagt selbst: Das hatte mit superintelligenten
Computerprogrammen nichts zu tun, sondern mit Programmen, die den
Folgen der Vorgänge, die sie auslösten, gerade nicht
gewachsen waren, mit zu dummen Programmen.
Man
fragt sich allerdings, warum Bostrom dann den Beinahe-Chrash in seine
Argumentation einbaut, und die Antwort liegt nahe. 1. zeigt der
Beinahe-Crash die generelle Gefahr, wenn Menschen Entscheidungen
Computern überlassen, die auf Computerentscheidungen reagieren
und 2. suggeriert Bostrom damit, dass leistungsstärkere Computer
die selbe Lage gemeistert hätten.
Da
Bostrom auf Gefahren hinaus will, es aber bislang keine gefährlichen
superintelligenten Computerprogramme gibt, verweist er eben auf
gefährliche gewöhnliche Programme.
Machen
wir uns ferner klar: Der Crash besteht darin, dass in Folgen von
Käufen und Verkäufen irgendwann ein Punkt erreicht wird, an
dem auch zu stark sinkenden Kursen die Käufer fehlen und dass
dieser Punkt unvorhersagbar ist. Wenn man sich einen Handel
vorstellt, bei dem zwei Gruppen von Supercomputern ständig
handeln, also abwechselnd als Käufer und Verkäufer
auftreten und außerstande sind, Derivate über einen
Preisverfall hinweg zu halten, weil ihr Eigenkapital nur sehr
begrenzte Spitzenrisiken abdeckt, dann ist in jedem Fall eine von
beiden Gruppen angeschmiert, sie mag so superintelligent sein, wie
sie will, sie wird ihre Wertpapiere nicht los. Die Korrektur wird wie
schon am 6.5.2010 wenn überhaupt von außen durch die
Marktaufsicht erfolgen müssen.
Nachdem
Bostrom so unsere Gefahrensensitivität suggestiv erhöht
hat, ohne uns in irgendein Thema einzuführen, folgt ein Appell
an unsere Unterwürfigkeit unter Experten. Frage an die Experten:
Wie lange, schätzen sie, wird es dauern, bis maschinelle
Intelligenz menschliches Niveau erreicht?
(»humal-level-machine-intelligence
HLMI definiert als „eine KI, die die meisten menschlichen
Berufe mindestens so gut wie ein Durchschnittsmensch ausüben
kann“« (S 37))
10%
meinten bis 2030, 50% bis 2050, 90% meinten bis 2100. M.a.W. Man
meinte irgendetwas. Entscheidend ist aber die Suggestion, dass die
gestellte Frage überhaupt sinnvoll ist.
Man
stelle sich folgende Szene vor: Ein junges intelligentes
Computerprogramm meldet sich bei der Berufsberatung des Arbeitsamtes.
Nach kurzem Blick in seine Dokumentation meint der Arbeitsberater:
„So wie sie ausgebildet sind, können sie alles machen, was
wären denn so Ihre Präferenzen.“ Das intelligente
Programm darauf: „Weiß ich nicht, darüber habe ich
mir noch keine Gedanken gemacht.“
30
Jahre später ist das Programm nicht nur menschlich-intelligent,
sondern sogar superintelligent. 90% der Experten, die ich befragt
habe, sind der Meinung, es habe bis dann einige größere
Konten gehackt, liege in Miami am Strand in der Sonne und sei endlich
zu einer Antwort auf die Frage seines Arbeitsberaters gekommen. Es
meine nämlich: „Lasst mich bloß mit euren
langweiligen Jobs in Ruhe!“
Bostroms
Kapitel 2: Wie kommt man zur Superintelligenz?
Ein
Weg 1 wäre: Indem man die Evolution Schritt für
Schritt nachvollziehen. Man stelle sich vor, die Basis jeder
Intelligenz seien die Neuronen. Wie viele Neuronen hat es seit der
Entstehung des Lebens auf der Erde gegeben, also bei sämtlichen
Prokaryonten, Insekten und höheren Lebewesen zusammen, die je
auf der Erde gelebt haben und welche Rechenleistung braucht es, die
Funktionen eines einzelnen Neurons nachzubilden? Das müsse man
nur multiplizieren und davon müsste man wieder in Abzug bringen,
welche Evolutionsschritte wir nicht nachvollziehen müssen, weil
wir bereits über einen bestimmten Stand der
Informationsverarbeitung verfügen, den wir nicht erst durch
Nachvollzug verstehen müssen. Bostrom rechnet hin und her und
kommt auf 1031 bis 1044 Flops, Es können
aber auch 1069 Flops sein.
Wie
kommt er darauf? Bostom schätzt gerne und kommt darauf unter
Zuhilfenahme seiner 10 Finger. Von da bis zu 1069 ist es
ein weiter Weg. Reizvoll ist dieser Weg für Leute, die ein
Faible für großer Zahlen haben, einfach weil sie groß
sind.
Bostroms
Ergebnis: die Evolution nachzuvollziehen, ist unmöglich. Wie
groß die Anzahl der erforderlichen Rechnungen auch immer ist,
sie ist in jedem Fall undurchführbar hoch.
Weg
2: Als nächste Möglichkeit, zur HLMI zu kommen, nennt
Bostrom die „Gehirnemulation“. Man nehme ein
existierendes Gehirn, kopiere es eins zu eins und setze es in ein
Computerprogramm um. Man kann mit einem Fadenwurm anfangen der nur
300 Neuronen besitzt und sich dann hocharbeiten. Bostrom fragt: Ist
der Gedanke technisch umsetzbar?
Bei
einer Rekonstruktion auf Elementarteilchenebene kommt man erneut an
unüberschreitbare Grenzen der Rechenleistung. Aber Bostrom
benennt die seiner Meinung nach erforderlichen technischen
Voraussetzungen für eine solche Gehirnemulation.
Die
genannten 5 Wege sollten nach Bostrom kombinierbar sein. Nur was will
er da kombinieren, wenn kein einziger Weg von den fünf zu
superintelligenten Maschinen führt? Weg 1 (Evolution
nachvollziehen) ist nach Bostroms Beschreibung grundsätzlich zu
rechenaufwendig, Weg 2 (Gehirn emulieren) führt nicht zu
Superintelligenzen, nicht zu allgemeinen, sondern zu speziellen
KI-Lösungen, auf Weg 3 (Zuchtwahl bei Menschen) entwickeln wir
keine maschinelle Superintelligenz, sondern wenn überhaupt
intelligentere Menschen, Weg 4 (Computer-Hirn-Schnittstelle) führt
bestenfalls zu guten Prothesen, Weg 5 (soziale Netze optimieren) ist
im Wesentlichen auch kein technisches, sondern ein politisch soziales
Problem.
Super-Power
durch Kombination ist wiederum eine Suggestion ohne Inhalt.
(S.
55)
Was
sagt Bostrom hier eigentlich? Wenn man ein Gehirn nachbauen will, sollten
Sie es zuerst scannen, und zwar so, dass Sie alles Wichtige erkennt.
Nur, was ist in diesem Sinn die wichtige Mikrostruktur? Bis zur
Darstellung einzelner Atome mittels Rastertunnelmikroskop ist heute
jeder Vergrößerungsfaktor darstellbar. Die erreichbare
Scangenauigkeit kann also keine prinzipielle Schranke der
Hirnemulation sein. Dann nimmt Bostrom weiter an, aus Schichtenscanns
ein 3D-Modell zusammenzusetzen, sei ebenfalls lediglich ein lösbares
technisches Problem. Was ist dann mit der Interpretation des Scans?
Bostrom erwähnt, im Hinblick auf ein Software-Modell eines
neuronalen Systems gebe es bereits Tausende von Forschungsarbeiten.
Seine Suggestion an dieser Stelle ist, dass wir kurz vor der Lösung
der Frage stehen. Darüber hinaus fragt Bostrom nach einem
geeigneten Körper und einer Umwelt
des emulierten Gehirns.
Was
ist unter einer Umwelt und einem Körper
zu verstehen? Bostrom kommt einmal (S. 37) auf die Online-Einführung
von Sebastian Thrun (Stanford) zu KI-Themen zu sprechen. Thrun
demonstriert in artificial intelligence for robotics u.a. modellhaft
Algorithmen, mit deren Hilfe sich ein selbststeuerndes Fahrzeug
mittels ständig neu berechneter Aufenthaltswahrscheinlichkeiten
in einer Umwelt zurechtfindet, die aus einer elementaren Fläche
besteht.
In
dieser Umwelt kommt der Automat bestens zurecht. Man kann also
bewiesenermaßen sagen: Für diese Umwelt gibt es ein
angemessenes Modell.
Das
Rechenmodell wird im nächsten Schritt um physikalische Parameter
ergänzt, z.B. um den Kurvenradius beim Steuern. Und schon hat
das mathematische Modell auch einen Körper. Sodann wird
die Umwelt um weitere Faktoren ergänzt, z.B. um die Annahme,
dass ein Objekt ohne Vorwarnung die Straße quert. Die
Fahrzeugphysik, also der Körper, wird durch Bremsen ergänzt.
Auch für komplexere Körper in komplexeren Umwelten gibt es
also geeignete kybernetische Modelle.
Umwelt
ist also eine Welt aus einer simplen geometrischen Fläche und
Körper ist ein imaginäres Autoobjekt auf dieser Fläche,
das eine Achse hat. Gehirn ist ein in der
Programmiersprache Python geschriebenes Computerprogramm von
wenigen Zeilen. Das muss man sich klar machen, wenn man der
Suggestion nicht erliegen will, der Abstand von hieraus bis zur
Umwelt, in der wir leben, zum menschlichen Körper und vom
Mini-Python-Programm bis zur allgemeinen Intelligenz des Menschen sei
qua digitaler Rechenleistung überbrückbar. Bostoms Tabelle
4 ist diesbezüglich schlicht nichtssagend.
Sehen
wir uns die weiteren Wege (Weg 3) zur Superintelligenz an, die
Bostom vorschlägt. Biologische Selektion a la Lebensborn durch
Zuchtwahl erhöhen, am besten auf der Ebene von
Biotechnologie. Man selektiere die intelligentesten Menschen, gewinne
von deren Babies Stammzellen, wandle sie in Spermien und Eizellen um
und kreuze diese. Daraus gewinne man neue Stammzellen. Derart lässt
sich die Generationsfolge beim Menschen auf 9-10 Monate verkürzen.
Man käme, wenn man ein solches Vorgehen durch alles ergänzt,
was gentechnisch in absehbarer Zeit möglich ist, zu
maßgeschneiderten Genomen und zu Durchschnittsbürgern,
deren jeder intelligenter ist als jeder heute lebende Mensch.
Abgesehen davon, ob Bostroms Prognose zutrifft oder nicht und welche
ethischen Fragen sich stellen, hat der vorgestellte Weg nichts mit
maschineller Superintelligenz zu tun.
Der
nächste Weg (Weg 4), die Computer-Hirn-Schnittstelle
scheint Bostrom schon wegen der damit verbundenen Infektionsgefahr
wenig vielversprechend. Es bleibt Weg 5 größere
kollektive Intelligenz durch
Netzwerke und Organisationen. Die
Einführung der Sprache war für Bostrom ein bedeutender
Schritt, der in diese Kategorie fällt. Etwas Vergleichbares
könnte nochmals geschehen. Was das sein könnte, führt
Bostrom nicht aus. Dass Vernetzungen bei allen kollektiven
Produktionsprozessen ein entscheidender Produktivitätsfaktor
sind, ist unbestritten.
Kapitel
3 behandelt die Formen von Superintelligenz und ist kurz erzählt.
Eine Intelligenz ist superintelligent,
weil sie entweder besonders schnell ist, weil sie aus vielen
Normalintelligenzen besteht, die zusammenarbeiten oder weil sie
qualitativ klüger ist. Vorstellungen von qualitativ besserer
Intelligenz gewinnt Bostrom aus der Gegenüberstellung zu
menschlichen Schwächen. Wir rechnen zu langsam, wir merken uns
zu wenig, wir stimmen uns untereinander nicht gut genug ab. Dem
würden wir natürlich nicht widersprechen, nur hat das
ungefähr so viel Erkenntniswert, als würden wir behaupten,
eine Treppe sei bei gegebener Stufenhöhe um so niedriger, je
weniger Stufen sie hat. Damit ist Kapitel 3 erzählt.
Kapitel
4 desavouiert sich bereits im ersten Satz, der da lautet:
„Da
Maschinen die Biologie in puncto allgemeiner Intelligenz letztlich
weit übertreffen werden, das maschinelle Denken aber derzeit
weit beschränkter ist als das menschliche, stellt sich die
Frage, wie schnell diese Usurpation vor sich gehen wird.“
(S.93)
Niemand
zweifelt daran, dass sich spezielle Fähigkeiten maschinell
steigern lassen und niemand kann sagen, wie weit die
Steigerungsmöglichkeiten gehen. Aber damit wird aus speziellen
Fähigkeiten - und seien sie noch so groß - noch lange
keine allgemeine Intelligenz.
Dass
es durch Leistungssteigerung zu einer Art Selbstbelebung der Maschine
kommt, dass die Maschinen irgendwann wie Gottfried Kellers grüner
Heinrich losziehen, um die Welt kennenzulernen, ist ein ebenso
blanker Mystizismus wie die seit dem 19. Jahrhundert und im
Futurismus immer wieder geäußerte Vorstellung, dass es
durch Technik zu einer Art Selbstvergöttlichung des Menschen
komme.
Durch
Leistungssteigerung von Computern werden weder aus Menschen noch aus
Maschinen Götter. Hier steht Omnipotenzwahn gegen Paranoia.
„Da
Maschinen die Biologie in puncto allgemeiner Intelligenz letztlich
weit übertreffen werden, ...“
Für
diesen Halbsatz bieten Kap. 1 bis 3 kein einziges Argument, ja nicht
einmal einen Begriff davon, was mit allgemeiner Intelligenz
eigentlich gemeint ist, und genau daraus macht Bostrom in Kap.4 eine
Tatsachenbehauptung. Wer sich ein dutzend mal schnell im Kreis
gedreht hat, wird danach kaum geradeaus laufen. Und wer argumentativ
ein dutzend mal um sich selbst gekreist ist, wird danach kaum
geradeaus denken.
Bostrom
kann seine eigenen Gespenster nunmehr befragen.
„Wenn
intelligente Maschinen erst einmal existieren, wie lange dauert es
dann, bis eine Maschine radikal superintelligent wird?“
Dieser
Ungedanke wird jetzt von Bostrom auch noch formalisiert:
dl/dt=O/W
(vgl. S. 111) (Will man uns veräppeln?)
Will
sagen: Die zeitliche Leistungszunahme gleicht der Optimierungskraft
geteilt durch die dem Leistungszuwachs entgegenstehenden Widerstände.
Oder auf deutsch: Du kommst nie schneller vom Fleck, als die
Widrigkeiten es zulassen, auf die Du triffst. Aha!
Kapitel
4 ist in Gänze eine aufgeblasene Trivialität. Es sagt, die
Entwicklung kann langsam, schnell oder gemäßigt schnell
ablaufen. Langsam, dann kann man steuern und vielleicht
kontrollieren, schnell, dann kann man das nicht, gemäßigt,
dann vielleicht.
Kap.5
bemüht wieder spieltheoretische Überlegungen, falls mehrere
maschinelle Intelligenzen dabei sein sollten, sich zu
Superintelligenzen zu entwickeln. Werden sie fair miteinander
spielen? Spätestens ab Seite 137 ist die Paranoia voll
entfaltet. Bostrom denkt an „Übernahmeszenarien“ des
gesamten Kosmos durch die Maschinen. Ab jetzt trixen die
superintelligenten Maschinen die Menschen aus, bestellen per Post
maßgeschneiderte Eiweiße für ihre
Selbstreproduktion, verteilen sich im Universum etc.
Kap.
8 fragt: „Sind wir dem Untergang geweiht?“ Kap. 10
schließt mit einer Auflistung von Kontrollmöglichkeiten,
die wir nach Bostroms Ansicht gegenüber superintelligenten
Computern hätten: Wir könnten sie in Sicherheitsverwahrung
nehmen, wir könnten sie durch Anreize ködern, wir könnten
sie gezielt hemmen, Stolperdrähte auslegen, könnten die
Systeme von vorn herein mit einem uns genehmen Motivationssystem
ausstatten oder sie nachträglich domestizieren.
Bostroms
Pädagogik ist nicht gerade superintelligent. Hoffentlich hat
Bostrom bei seinen Kindern, die heute schon „allgemeine“
Intelligenzen sind, bessere Erziehungsideen. Die vorgeschlagenen
Strategien würden leicht zu pädagogischen Katastrophen
führen.
So
weit Bostrom. Die verbleibenden Kapitel 11 bis 15 fügen
inhaltlich nichts hinzu, auch da nicht, wo Bostom als Aufgabe
formuliert, den superintelligent werdenden Maschinen Werte zu
vermitteln. (S.260)
Bostrom
schreibt:
„Die
Fähigkeitenkontrolle ist bestenfalls eine vorübergehende
und unterstützende Maßnahme; wenn wir die Superintelligenz
nicht für immer und ewig kleinhalten wollen, wird es notwendig
sein, die Motivationsselektion zu meistern. Aber wie schleusen wir
Werte so in einen künstlichen Akteur ein, dass er diese als
finale Ziele verfolgt?“
Die
Frage der Verbindlichkeit einer Moral ist – wie man weiß
- schon bei Menschen nicht abschließend beantwortet. Was
Bostrom anfragt, wäre gleichsam eine Neuerfindung des sittlichen
Menschen als Maschine.
Das
abendländische Modell des „finalen Ziels“ als
Handlungsmotivation ist die Himmelfahrt nach dem Tod. Jetzt sollen
also Maschinen fromm werden? Warum und an welchem Punkt der
Entwicklung sollten sie sich auf den Tod einlassen?
Der
Mensch ist, sagt man, das einzige Wesen, dass um seine Sterblichkeit
weiß. Indem er bemerkt, dass er sterblich ist, wird aus
faktischer Selbsterhaltung differenzierter Weltbezug und bewusste
Strategie. Aber es ist nicht das Wissen, das ihn sterblich macht.
Dass alles Leben auch das des Fadenwurms, sich erhält, ist eine
Tautologie, sonst wäre es keins. Die Vorstellung, dass immer
intelligentere Maschinen irgendwann an intrinsische Ziele kommen,
spielt die alte Karte neu aus, die das Wissen selbst als Ursprung der
Sterblichkeit ausgibt, was es allerdings nach der Vertreibung aus dem Paradies nicht ist.
Das
Problem ist nicht die Verselbstständigung superintelligenter
Computer, sondern der Verfügungsgewalt über
sich rasant entwickelnde technische Ressourcen im Dienst sich
verselbstständigender partikularer oder totalitärer Interessen. Aber gerade deren
Dynamik ist mit Mitteln der von Bostrom favorisierten Spieltheorie
nicht beschreibbar. Sein Animismus bedarf der Aufklärung. Leider
ist Bostrom mit seinem Glauben alles andere als allein.
Ihr Kommentar
Falls Sie Stellung nehmen, etwas ergänzen oder korrigieren möchten, können sie das hier gerne tun. Wir freuen uns über Ihre Nachricht.